Als im Jahr 1999 die Baugenehmigung eingereicht wurde, war der Bauherrschaft zwar klar, dass das Ausheben einer
Baugrube an der "Römerstraße" in Obernburg die Archäologen auf den Plan rufen sollte.
Das aber ein solch bedeutender Fund die Verschiebung der Baumaßnahme um eineinhalb Jahre bedeuten würde, stellte sich nur nach und nach heraus.
Benefiziarierstation des Kastells in Obernburg
Es wurden umfangreiche archäologische Grabungsarbeiten begonnen, die mit der Freilegung einer Benefiziarierstation endeten. Vergleichbar mit einer heutigen Zoll-, Polizei- und Marktaufsichtsbehörde regelten hier verdiente Männer aus der Legion das Grenzgeschehen am Limes des römischen Reiches.
Weltkulturerbe Limes
Als am im Jahr 1954 der Bagger bei Aushubarbeiten für eine Tankstelle auf römische Inschriftensteine stieß, ahnte damals noch niemand die geradezu internationale Bedeutung dieses neu entdeckten
Fundplatzes. Eine Bedeutung, die sich allerdings erst 46 Jahre später in vollem Umfang zu erkennen geben sollte. Erst im Jahr 2000 fanden nach dem mittlerweile erfolgten Abriss einer Tank-stelle
und vor Beginn einer Wiederbebauung umfangreiche Ausgrabungen statt.
Der Fundanfall war nicht zuletzt aufgrund der außerordentlich guten Erhaltungsbedingungen sehr groß. Etwa 100 Euro-Paletten mit Steinfunden (Altären, Altarsockeln, Architekturteilen) und etwa 4
Kubikmeter Keramik und Knochenfunde wurden geborgen.
Benefiziarierstation
Bei Kastellen am Limes lagen in Obergermanien oft Benefiziarier-Stationen. Benefiziarier waren ausgesuchte Legionssoldaten und erfüllten vielfältige Aufgaben wie Zoll-, Polizei- und Wachtdienste
oder als Quartiermeister. Ferner oblag Ihnen die Finanz- und Wirtschaftsverwaltung entlang der Grenzen und Verkehrswege.
Die Bedeutung der neuen Entdeckungen liegt darin begründet, dass es erstmals im ganzen Römischen Reich gelungen ist, neben dem zugehörigen Weihebezirk auch das eigentliche Amts- und Wohngebäude
des Benefiziariers freizulegen.
Das Amtsgebäude
Das Gebäude wurde in seinen Außenmauern als solider Steinbau errichtet. Im Inneren bestanden die Wände mit wenigen Ausnahmen aus Lehm-Fachwerk. Die Architektur folgt mediterranem Bauschema, was
an einem Kastellort an der Grenze überrascht und nur selten nachzuweisen ist: im Zentrum des ergrabenen Teils befindet sich ein offener, ursprünglich von Säulen oder Pfeilern umstellter Innenhof,
der in seiner letzten Ausbauphase mit mächtigen Sandsteinplatten gepflastert war.
In dessen Mitte befand sich ein Laufbrunnen, der aus verklammerten Sandsteinplatten bestand. Um den Innenhof, der von einer Wandelgang umgeben war, gruppierten sich Räume verschiedener Funktion.
Davon besaß der massiv gemauerte Raum in der südwestlichen Gebäudeecke eine Fußbodenheizung vom Typ der Kanalheizung. Die Wände trugen Malerei, von der sich jedoch nur wenig erhalten hat. Das
Gemach wird zu Wohnzwecken des Benefiziariers gedient haben.
Der Weihebezirk
Im Hinterhof der Station lag ein sakraler Bezirk, der zur Aufstellung von Altären diente. Unter den Benefiziariern war es Brauch oder Verpflichtung, nach Ablauf des nur sechsmonatigen Einsatzes
auf der jeweiligen Station den Göttern zum Dank einen steinernen Altar zu stiften. Dieser trägt jeweils eine Inschrift, die die Gottheit(en), den Stifternamen mit seiner Rangangabe und eine
Weiheformel enthält. In der Mehrzahl der Fälle werden darüber hinaus tagesgenaue Datierungen für die Aufstellung des Steins angegeben. Alle in Obernburg gefundenen Steine sind dem Jupiter als
oberster Staatsgottheit geweiht.
Guter Erhaltungszustand der Benefiziarierstation
Durch die Kultivierung des Stadtberges kam es nach dem Abzug der Römer durch Regen zur Erosion großer Mengen von Hangschutt und Lösslehm.
Dieser legte sich wie eine Schutzschicht über die Reste des Kastells und des Lagerdorfes und auch über die Benefiziarierstation.
Im Mittelalter konnten dann die Steine nicht mehr geplündert und zum Bau von neuen Häusern verwendet werden. Ähnlich wie in Pompeji trug also die Natur zur Konservierung der Vergangenheit
bei.
Der Weihebezirk war in seiner Anfangszeit in seiner Ausdehnung knapp bemessen. Er erstreckte sich nur etwa 4,5 m tief über die
Breite des Gebäudes von 18 m und war rückseitig durch einen Holzzaun begrenzt.
In etwas unregelmäßiger Reihung wurden die Altäre vor diesem Zaun und mit ihrer Schauseite zum Dienstgebäude aufgestellt. Von diesen Steinen wurden noch vier aufrecht stehend am Ort ihrer
ursprünglichen Platzierung angetroffen. Als die Breite in teilweise doppelter Reihung ausgefüllt war, nahm man eine Erweiterung des Geländes jenseits des Zauns vor.
Nachdem auch dieses Areal mit Steinen besetzt war -jedes Jahr kamen durch den halbjährigen Wechselturnus der Benefiziarier zwei Altäre hinzu - richtete man zwei bis drei weitere Reihen vor den
ältesten Weihungen auf. Als schließlich auch dieser Raum nicht mehr ausreichte, kam eine annexartige Erweiterung in einem bis dahin brach liegenden Areal im nördlichen Anschluss hinzu.
Die ursprüngliche Anzahl der aufgestellten Altäre ist nicht mehr zu bestimmen. Rein rechnerisch müssten über die gesicherte Mindestbestehenszeit der Anlage 160 Weihsteine gestiftet worden sein.
Aus den Funden ergeben sich über 70 Aufstellungen (Altäre bzw. Altarpostamente), darunter 30 vollständige oder in Fragmenten bezeugte Altäre. Die Fehlzahl, die sich im Ausgrabungsplan durch
größere Lücken niederschlägt, geht auf mittelalterliche Steingewinnung zurück. Die Altäre wurden als willkommenes Baumaterial ausgegraben und abtransportiert.
Der Teil eines Benefiziariersteins aus der mittelalterlichen Stadtmauer von Obernburg und ein weiterer Stein aus der Kirche des benachbarten Eisenbach zeugen davon.
Brunnenstein
Im Bereich der jüngsten Erweiterung des Weihebezirkes kam ein giebelförmiger Stein zu Tage, der mit seiner schmucklosen Seite nach oben zuletzt eventuell als Unterlage für einen nicht mehr
vorhandenen Altar gedient hatte. Nach Ausweis einer halbrunden Aussparung an der Basis handelt es sich um einen Brunnenstein, der ursprünglich auf dem Rand eines steinernen Brunnentroges
platziert war.
Silbervotivblech und Bronzestatuette
In der jüngsten Weihebezirks-Erweiterung fand sich ein kleines rituelles Depot. Es enthielt eine bronzene Statuette des Gottes Merkur. Die waagrecht niedergelegte Statuette war mit einem
silbernen Votivblech abgedeckt. Das Blech trägt eine getriebene Darstellung ebenfalls des Merkur, der aus gedrehten Säulen, Nischenbogen und Dachgiebel steht
Beginn und Ende der Station
Vor Errichtung der Benefiziarierstation stand an gleicher Stelle ein mächtiger Fachwerkbau. Nach Ausweis zahlreicher Handwerksöfen und einiger Funde diente das Gebäude als buntmetallverarbeitende
Werkstätte. Die Abmessungen dieses Betriebes sind so ungewöhnlich groß, dass man wahrscheinlich eine staatliche Einrichtung vermuten muss.
Der älteste Altar datiert von 144 n. Chr., der auch nach der Aufstellungsposition in die früheste Zeit der Anlage gehört.
Den jüngsten erhaltenen Altar wurde am 13.1.224 gestiftet. Danach brannte die Station etwa zehn, höchstens 20 Jahre später vollständig ab. Einzelne Waffenfunde könnten auf feindliche Einwirkungen
bei der Zerstörung hinweisen.